Verkehrserziehung in der frühen Bundesrepublik und das Konzept der Selbstkontrolle

Cover Historical Social Research 41, H. 1 - (c) GesisVor einigen Wochen ist ein Themenheft von Historical Social Research zu „Risk as an Analytical Category“ erschienen. Die von Peter Itzen und Simone M. Müller (beide Freiburg) herausgegebene Ausgabe enthält sehr lesenswerte Artikel, u.a. von Sebastian Haus zu den Risikostrategien der westdeutschen Schwulenszene gegenüber HIV/AIDS oder von Malte Thießen zur Geschichte der Auseinandersetzung mit Impfrisiken. Ich bin mit dem Beitrag „Road Safety and Traffic Education in Post-War Germany“ vertreten, der einem Paradigmenwechsel im Umgang der bundesdeutschen Verkehrserziehung mit Unfallrisiken in den 1950er bis 1970er Jahren nachspürt:

In den 1950er Jahren sah sich die Verkehrspolitik der Bundesrepublik Deutschland mit einer Situation konfrontiert, die zeitgenössisch als „Verkehrskrise“ bezeichnet wurde. In nur wenigen Jahren nahm die Anzahl der Kraftfahrzeuge auf westdeutschen Straßen rapide zu, und dies galt auch für die Zahl der Unfälle und Unfalltoten. Entsprechend wurden die Bemühungen auf dem Gebiet der Verkehrserziehung stark ausgeweitet. Der Artikel untersucht anhand öffentlicher Kampagnen und Expertendiskurse die Karriere des Konzepts von Selbstkontrolle unter Verkehrssicherheitsexperten und seinen Beitrag zu einem Paradigmenwechsel in der westdeutschen Verkehrserziehung. Im Laufe der drei Dekaden von den 1950er bis 1970er Jahren verschob sich die Perspektive von externer Regulierung durch disziplinäre Maßnahmen und Appelle an die Vernunft hin zu der Internalisierung adäquaten Verhaltens im Straßenverkehr und Kompetenz hinterm Steuer. Die Verkehrserziehung versuchte nun vielmehr, die Verkehrsteilnehmer zur Selbstregulierung zu bewegen und ihre Fähigkeit zu verbessern, sich an Verkehrssituationen anzupassen. Ziel war die Etablierung eines spezialisierten „Siebten Sinns“ als Kernelement traditionellen Risikoverhaltens. Selbstkontrolle, so wie das Konzept in Kampagnen und anderen Verkehrssicherheitsmaßnahmen umgesetzt wurde, arbeitete mit erwünschten Vorstellungen soziopolitischer Ordnung und vom gesellschaftlichen Zusammenleben. Dies waren insbesondere traditionelle Familien- und Geschlechterrollen, christliche Werte und demokratische Freiheit.

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Teaching Self-Control. Road Safety and Traffic Education in Post-War Germany, in: Historical Social Research 41 (2016), H. 1, S. 135-153.