Lehre

Sommersemester 2023

  • Jugend und Medien im 20. Jahrhundert (Seminar, Halle)
    Das 20. Jahrhundert gilt als das „Jahrhundert der Jugend“ (Uwe Sander), in dem sich die Adoleszenz als eigenständige Lebensphase zwischen Kindheit und Erwachsensein konstituierte. Was genau unter Jugend verstanden wurde, war jedoch stets Gegenstand gesellschaftlicher Aushandlung und historisch veränderlich. Passend zum Konstruktionscharakter diente Jugend immer auch als Projektionsfläche für gesellschaftliche Erwartungen, Ordnungsvorstellungen und Zukunftsängste. Zugleich intensivierten sich im 20. Jahrhundert Prozesse der Medialisierung der Gesellschaft; die politische, ökonomische und lebensweltliche Bedeutung von Massenmedien nahm immens zu. Diese Entwicklung traf – in erster Linie im Bürgertum – auf kulturkritische Vorbehalte, welche unter anderem am Medienkonsum von Jugendlichen festgemacht wurden. Insbesondere das Aufkommen neuer Medien brachte Befürchtungen hervor, die geistige und sittliche Entwicklung der Jugend sei in Gefahr und damit die Zukunft wahlweise von Staat, Nation oder Volk. Gleichzeitig gab es aber immer auch Stimmen, die in der Mediennutzung durchaus Chancen für Bildung, Erziehung und Persönlichkeitsentwicklung sahen bis hin zu demokratisierenden Potenzialen.
    Diesem Spannungsverhältnis wollen wir im Seminar nachgehen und dabei eine Schneise durch das 20. Jahrhundert schlagen: Das Spektrum reicht vom frühen Kino und von populärer Jugendliteratur zu Beginn des Jahrhunderts über kommerzielle Jugendzeitschriften und das Radio bis hin zu Fernsehen und Computerspielen in dessen zweiter Hälfte. Quellennah und gesellschaftshistorisch kontextualisierend befassen wir uns zum einen mit Medienangeboten für Jugendliche und deren Nutzungsweisen. Zum anderen beleuchten wir die jeweiligen öffentlichen Debatten um Jugend und Medien. Auf diese Weise lassen sich vor dem Hintergrund eines umfassenden Wertewandels und einer entstehenden Konsumgesellschaft sowohl Vorstellungen von Jugend und Annahmen über die Wirkungen von Medien im zeitlichen Wandel nachverfolgen als auch wesentliche Kontinuitäten ausmachen.

    Literatur: Aline Maldener / Clemens Zimmermann (Hg.): Let‘s Historize It! Jugendmedien im 20. Jahrhundert, Wien u.a. 2018 (insb. das einleitende Kapitel); Kaspar Maase: Die Kinder der Massenkultur. Kontroversen um Schmutz und Schund seit dem Kaiserreich, Frankfurt a.M. 2012.

  • Schule der Nation? Die Geschichte des Schul- und Bildungsfernsehens (1 Seminar: BA Pädagogik + 1 Seminar: Lehramtsausbildung, Halle)
  • Aufwachsen in der späten DDR – Perspektiven der Oral History (Seminar, Halle)

Sommersemester 2020

  • Sozialistische Arbeitsgesellschaft? Arbeit und Alltag in der DDR (Seminar, Leipzig)
    Die DDR verstand sich als Arbeiter- und Bauernstaat, und dies war durchaus mehr als eine rein rhetorische, ideologisch motivierte Selbstbeschreibung. Nicht nur war die Erwerbsquote im internationalen Vergleich durchgängig hoch und der sozialistische Staat bestrebt, Statusunterschiede zwischen der Arbeiterschaft und anderen sozialen Schichten einzuebnen. Arbeit und Beruf fungierten als gesellschaftliche Klammer und prägten den Alltag der Bevölkerung. Das gesellschaftliche und kulturelle Leben in der DDR zentrierte sich um den Betrieb. Neben der Familie waren das Kollektiv oder die Brigade wichtige soziale Bezugspunkte. Die Figur des Arbeiters (und manchmal auch der Arbeiterin) wurde ideologisch überhöht, es herrschte ein allseitiger Kult der Arbeiterlichkeit. Der Soziologe Martin Kohli hat die DDR daher als eine spezielle Form der Arbeitsgesellschaft bezeichnet. Wir wollen im Seminar diese These einer Überprüfung unterziehen und dabei insbesondere das Verhältnis zwischen Arbeit und Alltag beleuchten.

    Literatur: Peter Hübner: Arbeit, Arbeiter und Technik in der DDR 1971 bis 1989. Zwischen Fordismus und digitaler Revolution, Bonn 2014; Mary Fulbrook: Ein ganz normales Leben. Alltag und Gesellschaft in der DDR, 2. Aufl., Darmstadt 2011; Christoph Kleßmann: Arbeiter im „Arbeiterstaat“ DDR. Deutsche Traditionen, sowjetisches Modell, westdeutsches Magnetfeld (1945 bis 1971), Bonn 2007; Arnd Bauerkämper: Die Sozialgeschichte der DDR, München 2005.

  • Arbeitslos in der Transformationsgesellschaft. Eine Erfahrungsgeschichte der „Beschäftigungskrise“ der 1990er-Jahre (Projektseminar, Leipzig)
    Die Jahre ab 1990 in Ostdeutschland zeichnen sich durch einen ebenso rasch vollzogenen wie grundlegenden Umbau des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systems aus. Die Strukturbrüche nahmen vielfach krisenhafte Ausprägungen an, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt: Die Transformationszeit war von Massenarbeitslosigkeit begleitet, die entgegen der Erwartungen kein kurzes Übergangsphänomen blieb. Bis 1993 schrumpfte die Zahl der Erwerbstätigen in Ostdeutschland um ein Drittel auf 6,2 Millionen. Die offizielle Arbeitslosenstatistik für 1993 verzeichnete 1,2 Millionen Menschen allein in den östlichen Bundesländern, zu denen noch gute 1,6 Millionen in verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen sowie in Frühverrentung hinzuzuzählen sind. Der Transformationsprozess, der für einen nennenswerten Teil der ostdeutschen Bevölkerung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes und dem Einrichten in einer prekären Lebenssituation einherging, ist von einer Vielzahl von Ostdeutschen als fundamentaler Einschnitt in ihrer individuellen Biographie empfunden worden. Was waren die konkreten, lebensweltlichen Erfahrungen mit der „Beschäftigungskrise“ nach 1990 und wie werden diese im Rückblick lebensgeschichtlich eingeordnet? Inwiefern wurden Arbeitslosigkeit und Tätigkeiten in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen als „Entwertung“ von Lebensläufen und -leistungen eingeschätzt? Welche Rolle spielte die Sozialisation in der DDR-Arbeitsgesellschaft für die Wahrnehmung der persönlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse im vereinigten Deutschland?
    Diesen und weiteren Fragen wollen wir im Rahmen des Projektseminars nachgehen und dazu in der zweiten Hälfte des Semesters Oral History-Interviews in Kleingruppen durchführen, um sie anschließend gemeinsam auszuwerten. Die erste Hälfte dient zunächst der Einführung ins Thema der Arbeitsmarktentwicklung in der Transformationszeit und der methodischen Vorbereitung der Interviews. Während des Semesters wird es ausreichend Raum geben, die Erkenntnispotenziale und -grenzen der Oral History sowie unsere Erfahrungen bei der Durchführung zu reflektieren. Da die einzelnen Sitzungen unmittelbar aufeinander aufbauen, ist eine kontinuierliche Teilnahme für den Erfolg des Seminars unabdingbar.

    Literatur: Gerhard A. Ritter: Der Preis der deutschen Einheit. Die Wiedervereinigung und die Krise des Sozialstaats, 2. Aufl., München 2007; Julia Obertreis (Hg.): Oral History, Stuttgart 2012.

  • „Wenn ich heute das Wort ergreife…“ Die politische Rede im 19. und 20. Jahrhundert (Seminar, Leipzig)
    Als sich der zuvor eher unbekannte Senator Barack Obama mit begeisternden, rhetorisch ausgefeilten Reden im US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 durchsetzte, sprachen nicht wenige Beobachter von einer triumphalen Wiederkehr der politischen Rede. Doch hatte diese ihre Bedeutung eigentlich je eingebüßt? Wer die politische Rede für marginalisiert hielt, begründete dies meist mit dem Aufstieg der Massenmedien. In der Mediengesellschaft sei die traditionelle ars oratoria nicht mehr gefragt. Anhand bekannter und weniger bekannter Beispiele aus zwei Jahrhunderten fragt das Seminar danach, was in unterschiedlichen Zeiten als eine „gute“ Rede galt und welchen Wandlungen ihre Form und Funktion unterworfen waren. Es geht dabei weniger um die Rhetorik als die Theorie, als vielmehr um die Praxis politischer Rede. Dabei soll die Analyse nicht auf den Redetext beschränkt bleiben, sondern möglichst umfassend die konkreten Umstände einer politischen Rede berücksichtigen: ihr historischer Kontext, das räumliche Setting, ihr Publikum und dessen Interaktionen mit der Rednerin bzw. dem Redner, die An- oder Abwesenheit von Massenmedien sowie die konkrete „Aufführung“ der Rede. Daher werden, sofern verfügbar, auch Ton- und Filmdokumente einbezogen.

    Literatur: Karl-Heinz Göttert: Mythos Redemacht. Eine andere Geschichte der Rhetorik, Frankfurt a. M. 2015; Christian K. Tischner: Historische Reden im Geschichtsunterricht, Schwalbach/Ts. 2008.

Wintersemester 2019/20

  • Krieg im Frieden. Der Erste Weltkrieg in Film und Kino 1918-1939 (Seminar, Leipzig)
    Der Erste Weltkrieg wird nicht zuletzt wegen des massiven Einsatzes massenmedialer Propaganda gemeinhin als erster moderner Krieg der Geschichte sowie als ein paradigmatisches Medienereignis bezeichnet. Dies gilt auch für die umkämpfte Erinnerung an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“. Für das Bild, das sich seither vom Ersten Weltkrieg gemacht wurde und wird, spielt von den Erinnerungsmedien der bei Kriegsausbruch mit nicht einmal 20 Jahren noch junge Film eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ausgehend von der Filmpropaganda im Krieg verfolgt das Seminar den Wandel der filmischen Repräsentationen des Weltkriegs im Spiel- und Dokumentarfilm mit Schwerpunkt auf der Zwischenkriegszeit, d.h. auf der späten Stumm- und frühen Tonfilmzeit, wobei auch Ausblicke in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unternommen werden. Dabei werden die Filme keinesfalls als isolierte Artefakte betrachtet. Sie sind vielmehr in vielfältiger Weise historisch zu kontextualisieren, was sie als verschiedenen Deutungsansprüchen und Sinnzuschreibungen unterworfene mediale Produkte kennzeichnet.
    Das Seminar führt in die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Quellenwert von Filmen, die Grundlagen der Filmanalyse sowie das methodische Konzept der New Film History ein. Anschließend wird quellennah sowohl mit den Filmen als auch mit kontextualisierendem Quellenmaterial wie Filmbesprechungen, Programmheften etc. gearbeitet. Teilnahmevoraussetzung ist die Bereitschaft zur eigenständigen Recherche auch unpublizierter Quellen und zur Lektüre englischsprachiger Texte.

    Literatur: Philipp Stiasny: Das Kino und der Krieg. Deutschland 1914-1929, München 2009; Anton Kaes: Shell Shock Cinema. Weimar Culture and the Wounds of War, Princeton 2009; Rainer Rother / Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Der Erste Weltkrieg im Film, München 2009; Manuel Köppen: Das Entsetzen des Beobachters. Krieg und Medien im 19. und 20. Jahrhundert, Heidelberg 2005; Bernardette Kester: Film Front Weimar. Representations of the First World War in German Films in the Weimar Period (1919-1933), Amsterdam 2003.

Sommersemester 2019

  • 1919 in Europa – Jahr des Aufbruchs? (Seminar, Leipzig)
    Das Jahr 1919: Der Erste Weltkrieg war beendet und in Europa und der Welt begann eine neue Zeit. Eine Zeit der Gewalt und der Krisen? Eine Zeit, die geprägt war von Revolutionen, Putschversuchen und politischen Morden, von sozialen Verwerfungen und Hungersnöten, von umfassenden Neuordnungsversuchen auf Grundlage eines instabilen Friedensschlusses? Oder doch vielmehr eine Zeit der Hoffnung und des Aufbruchs? Eine Zeit, die Europa demokratischer machte, die das Frauenwahlrecht brachte, in der sich neue Formen der internationalen Zusammenarbeit etablierten, in der neue Wege in Kunst und Wissenschaft beschritten wurden? Im Seminar wollen wir eine Antwort auf die Frage versuchen, inwiefern sich 1919 als ein Jahr des Aufbruchs in Europa bewerten lässt. Dazu werden wir gemeinsam das Buch „1919. Ein Kontinent erfindet sich neu“ von Birte Förster lesen und unter Hinzuziehung weiterer Texte kritisch diskutieren. Voraussetzung zur Teilnahme am Seminar ist folglich die Bereitschaft, ein hohes Lektürepensum zu bewältigen.

    Literatur: Birte Förster: 1919. Ein Kontinent erfindet sich neu, Stuttgart 2018; Eckart Conze: Die große Illusion. Versailles 1919 und die Neuordnung der Welt, München 2018; Jörn Leonhard: Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918-1923, München 2018; Robert Gerwarth: Die Besiegten. Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2017 (auch bei der Bundeszentrale für Politische Bildung erhältlich).

  • Kulturpolitik in der SBZ/DDR 1945-1965 (Seminar, Leipzig)
    Vom „Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ über den „Formalismusstreit“ und den „Bitterfelder Weg“ bis zum „Kahlschlag-Plenum“ – die Kulturpolitik war in der SBZ/DDR ein zentrales Politikfeld. Sowohl die sowjetische Besatzungsmacht als auch die Staats- und Parteiführung in der DDR formulierten den Anspruch, allen Bürgerinnen und Bürgern die Teilhabe am kulturellen Leben zu ermöglichen, nicht zuletzt um sie zu „sozialistischen Menschen“ zu erziehen. Zahlreiche namhafte Künstlerinnen und Künstler, die aus der Emigration nach Deutschland zurückkehrten, entschieden sich für eine Mitarbeit an dieser Aufgabe und ließen sich in der DDR nieder, darunter Arnold Zweig, Anna Seghers, Bertolt Brecht und Paul Dessau. Doch galt Kultur nicht nur als eine wesentliche Grundlage der sozialistischen Gesellschaft, sie fungierte auch als wertvolle symbolische Ressource im Systemkonflikt. Kultur wurde folglich als etwas angesehen, das politisch zu organisieren war. Welche Einrichtungen wurden zu welchen Zwecken gegründet und wie ins Herrschaftssystem eingebunden? Wie versuchte die SED ihre Kontrollansprüche auf dem Gebiet der Kultur durchzusetzen? In welchem Maße bestanden Spielräume für künstlerische Autonomie? Welcher gesellschaftliche und politische Status kam Intellektuellen zu? Mit welchen Begrifflichkeiten und Leitkonzeptionen arbeitete die DDR-Kulturpolitik? Wie verhielt sie sich zur deutschen kulturellen Tradition und zur „westlichen“ Kultur? Diesen und weiteren Fragen möchte das Seminar nachgehen und die Ambivalenzen der Kulturpolitik in der SBZ/DDR von den Anfängen bis zum 11. Plenum des Zentralkomitees der SED im Jahr 1965 herausarbeiten, das sich als kulturpolitisch harter Einschnitt erwies.

    Literatur: Gerd Dietrich: Kulturgeschichte der DDR, 3 Bde., Göttingen 2018; Frank Hoffmann: Kulturgeschichte der DDR. Ein Überblick, Erfurt 2014; Carsten Kretschmann: Zwischen Spaltung und Gemeinsamkeit. Kultur im geteilten Deutschland, Berlin 2012.

Wintersemester 2018/19

  • Vorbeugen, vermeiden, verhüten. Prävention und Vorsorge in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Seminar, Leipzig)
    Kriege, Katastrophen, Krankheiten – damit ist nur ein kleiner Teil derjenigen Bedrohungen benannt, die in der Zukunft lauern mögen und gegen die wir uns bereits in der Gegenwart versuchen abzusichern. Durch präventive Maßnahmen wollen wir unerwünschte und schädliche Ereignisse nach Möglichkeit vermeiden. Und für den Fall, dass sich ihr Eintritt nicht verhindern lässt, sorgen wir dergestalt vor, dass die negativen Folgen möglichst gering ausfallen. Vorsorge und Prävention sind charakteristische Phänomene der Moderne, die sich gegen Ende des 19. Jahrhundert als gesellschaftlich wichtige Modi des Zukunftshandelns etabliert hatten. Zunächst lagen Vorsorge und Prävention noch vor allem in der Hand von Politik und Verwaltung, die ihre Bürgerinnen und Bürger bzw. den diese wahlweise ein- oder ausschließenden Kollektivkörper (Volk, Nation etc.) vor Schaden zu bewahren suchten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – und hier soll der zeitliche Schwerpunkt des Seminars liegen – verlagerte sich die Verantwortung für adäquate Vorsorge und Prävention allmählich stärker auf die Einzelne und den Einzelnen; Selbstsorge trat zunehmend an die Stelle von Fürsorge. Wir wollen der Konjunktur und den Erscheinungsformen des „präventiven Selbst“ nachspüren und fragen nach zugrunde liegenden Gesellschaftsvorstellungen und Menschenbildern, Wissensformationen, Kommunikations- und Interventionsstrategien, Subjektivierungen und Praktiken. Dabei beschäftigen wir uns mit Prävention und Vorsorge u.a. in den Bereichen Gesundheit (Impfprogramme, Sexualität), Sport und Fitness, Ernährung, Armut, Kriminalität, Umwelt, Zivilschutz sowie Unfallschutz in Betrieb, Verkehr und Haushalt.

    Literatur: Nicolai Hannig / Malte Thießen (Hg.): Vorsorgen in der Moderne. Akteure, Räume und Praktiken, Berlin 2017; Ulrich Bröckling: Gute Hirten führen sanft. Über Menschenregierungskünste, Berlin 2017; Martin Lengwiler / Jeannette Madarász (Hg.): Das präventive Selbst. Eine Kulturgeschichte moderner Gesundheitspolitik, Bielefeld 2010; François Ewald: Der Vorsorgestaat, Frankfurt a. M. 1993.

  • Sichtbarkeitskämpfe. Zur Visual History der Jahre zwischen 1914 und 1930 (Seminar, Leipzig)
    Seit mehr als einer guten Dekade ist der geistes- und kulturwissenschaftliche iconic turn auch in den Geschichtswissenschaften angekommen. Unter dem Label der „Visual History“ beschäftigen sich Historikerinnen und Historiker mit Bildlichkeit in der Geschichte und mit Bildern als Quellen jenseits einer Funktion der vermeintlichen Abbildung von Wirklichkeit. In dieser Perspektive werden Bilder als eigenständige Medien mit einer spezifischen Ästhetik angesehen, die historisch wandelbare Praktiken sowohl der Herstellung und Verbreitung als auch der Wahrnehmung und Aneignung ausbildeten – und die eine spezifische Quellenkritik erfordern.
    Im Seminar wollen wir der Frage nachgehen, inwiefern es sich bei den Jahren zwischen dem Beginn des Ersten Weltkriegs und dem Ende des stummen Films um eine Zeit vielfältiger Kämpfe um Sichtbarkeiten handelte. Ausgehend von der These vom Weltkrieg als einem Krieg (auch) um Bilder beschäftigen wir uns mit dem Gebrauch von Bildern als politische Waffe, der moralischen Aufladung von Bildern in öffentlichen Konflikten um Zeigbarkeiten, mit Bildern in der aufkommenden Konsumgesellschaft, mit neuen Sichtbarkeiten in Medizin und Wissenschaft durch bildgebende Verfahren sowie mit einer neuartigen Zeichenhaftigkeit im öffentlichen Raum. Das Spektrum an Quellen erstreckt sich von Propaganda- und Werbeplakaten über Bildkunst, Karikaturen, Postkarten, Fotografien bis hin zum bewegten Bild des Films. Doch kann nicht allein auf die Bilder selbst geschaut werden. Unerlässlich ist zugleich die Berücksichtigung der politischen, sozialen, kulturellen, ökonomischen und moralischen Kontexte, in denen „Bildagenten“ (Annette Vowinckel) wie Zeichner, Fotografen, Fotoreporter, Agenturen oder Zeitungsredaktionen handelten.

    Literatur: Gerhard Paul: Das visuelle Zeitalter. Punkt und Pixel, Göttingen 2016; Annette Vowinckel: Agenten der Bilder. Fotografisches Handeln im 20. Jahrhundert, Göttingen 2016; Jens Jäger: Fotografie und Geschichte, Frankfurt a. M. 2009; Gerhard Paul (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Bd. 1: 1900 bis 1949, Göttingen 2009.

Sommersemester 2018

  • Auf dem Weg in die motorisierte Gesellschaft. Automobilität in Deutschland bis 1955 (Seminar, Leipzig)
    Bis heute stellt das Automobil einen vermeintlich unverzichtbaren Bestandteil moderner Gesellschaften dar. Es ist allseits präsent in der Lebenswelt der Menschen, transportiert nicht nur Personen und Güter, sondern auch ein Lebensgefühl. Dass dem Automobil einmal der Status eines gesellschaftlichen Leitbilds zukommen sollte, war jedoch alles andere als zwangsläufig, als im späten 19. Jahrhundert der Motorwagen „erfunden“ wurde. So stand die neue Technologie in Konkurrenz zu älteren Verkehrsmitteln wie der Pferdekutsche, der Eisenbahn oder dem Fahrrad, und bereits frühzeitig stieß die zunehmende Motorisierung auf Widerstände und Proteste. Eine rasche Durchsetzung bremsten u.a. auch technische Limitierungen und infrastrukturelle Hemmnisse im Bereich des Straßenbaus. Das Seminar beschäftigt sich mit der Phase der Etablierung des motorisierten Individualverkehrs in Deutschland mit all seinen Ambivalenzen. In den Blick genommen werden u.a. die Entwicklung der Automobiltechnik, die Herausbildung einer erweiterten Verkehrspolitik, Fragen der Verkehrssicherheit und des Straßenbaus, öffentliche Konflikte und Debatten um das Automobil sowie sein Wandel vom Luxusobjekt zum massenhaft verbreiteten Alltagsgegenstand. In diesem Zusammenhang spielen auch die sich verändernden Nutzungsweisen des Autos eine Rolle, so etwa das Verhältnis von Geschlecht und Automobil oder der Rennsport in seiner Funktion zwischen Technologiedemonstration und Unterhaltung.

    Literatur: Martina Heßler: Kulturgeschichte der Technik, Frankfurt am Main 2012; Christoph Maria Merki: Verkehrsgeschichte und Mobilität, Stuttgart 2008; Uwe Fraunholz: Motorphobia. Anti-automobiler Protest in Kaiserreich und Weimarer Republik, Göttingen 2002; Christoph Maria Merki: Der holprige Siegeszug des Automobils 1895-1930. Zur Motorisierung des Strassenverkehrs in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, Wien 2002; Kurt Möser: Geschichte des Autos, Frankfurt am Main 2002; Barbara Haubner: Nervenkitzel und Freizeitvergnügen. Automobilismus in Deutschland 1886-1914, Göttingen 1998.

  • Hörfunk und Fernsehen im geteilten Deutschland (Seminar, Leipzig)
    In den 1960er Jahren avancierte das Fernsehen zum Leitmedium. Immer mehr Haushalte in West und Ost konnten das Programm in ihren Wohnstuben empfangen und die „Flimmerkiste“ wurde zu einem der wichtigsten Alltagsgegenstände. Das Fernsehen bot Information und Unterhaltung, war Fenster zur Welt und zugleich ein Medium des Systemwettstreits. In der Bundesrepublik war es ein relevanter Ort der politischen Debatte und leistete einen wichtigen Beitrag bei der öffentlichen Verhandlung von Werten und Normen. Doch auch in der DDR gab es – häufigen Wandlungen unterliegende – Spielräume, in denen das Verhältnis zwischen staatlicher Medienmacht und eigensinniger Nutzung ständig neu austariert wurde. Trotz des Aufstiegs des Fernsehens blieb der Hörfunk nicht zuletzt wegen seiner höheren Reichweite und dem technisch deutlich voraussetzungsärmeren Empfang weiterhin wichtig, sei es als Unterwegs- oder Nebenbeimedium oder für Hörerinnen und Hörer jenseits der Grenze. Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Bundesrepublik und der DDR um zwei getrennte Mediensysteme: der öffentlich-rechtliche Rundfunk bzw. ab den 1980er Jahren das neu eingeführte duale Rundfunksystem mit einer zweiten, privaten Säule auf der einen und der staatliche Rundfunk, der durchgreifenden Kontrollansprüchen der Regierung unterlag, auf der anderen Seite. Beide waren institutionell weitgehend innerhalb der Systemblöcke orientiert. Dennoch waren Hörfunk und Fernsehen der Bundesrepublik und der DDR vielfach aufeinander bezogen; die audiovisuellen Medien durchdrangen den „Eisernen Vorhang“. Das Seminar fragt danach, ob sich die deutsch-deutsche Rundfunkgeschichte als Verflechtungsgeschichte schreiben lässt, und versucht insbesondere auf wechselseitige Wahrnehmungen, Berührungspunkte und mediale und kulturelle Transfers zu achten. Neben der Institutionen- und Programmgeschichte, der Rundfunktechnik sowie der Medienpolitik und -kontrolle stehen vor allem das Medienpublikum und dessen Nutzungsweisen im Fokus.

    Literatur: Franziska Kuschel: Schwarzhörer, Schwarzseher und heimliche Leser. Die DDR und die Westmedien, Göttingen 2016; Konrad Dussel: Deutsche Rundfunkgeschichte, 3. Aufl., Konstanz 2010; Christina von Hodenberg: Konsens und Krise. Eine Geschichte der westdeutschen Medienöffentlichkeit 1945-1973, Göttingen 2006; Knut Hickethier: Geschichte des deutschen Fernsehens, Stuttgart 1998.

Wintersemester 2017/18

  • Auf dem Weg in die Mediengesellschaft? Politik, Massenmedien und gesellschaftliche Selbstbeobachtung 1850-1930 (Seminar, Leipzig)
    Moderne, funktional differenzierte Gesellschaften lassen sich nicht (mehr) unter eine Einheitsperspektive zwängen. Gerade deshalb sind, zumal im Zeitalter der Nationalstaaten, übergreifende Selbstverständigungsprozesse unabdingbar. Pluralismus erfordert Instrumente, die es einer Gesellschaft ermöglichen, sich ein Bild von sich selbst zu machen und darüber zu kommunizieren. Die modernen Massenmedien dienen der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung, indem sie Raum und Zeit überwinden und verstreute, unterschiedliche Publika erreichen. Sie bildeten die beschriebene Funktion zwischen dem späten 19. und dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts heraus. Der Zeitraum wurde als „massenmediale Sattelzeit“ (Habbo Knoch und Daniel Morat) bezeichnet, weil er eine Epochenschwelle markiert, in der sich gesellschaftliche Formationen grundlegend änderten. Diese These sowie der mit ihr verbundene Periodisierungsvorschlag sollen im Seminar überprüft werden. Wir fragen danach, welche Faktoren die Entstehung und Etablierung moderner Massenmedien ermöglichten und ab wann – wenn überhaupt – die Rede von einer Mediengesellschaft sinnvoll ist. Dabei werden Prozesse wie Alphabetisierung und Urbanisierung ebenso zu berücksichtigen sein wie die Lockerung politischer und ökonomischer Medienregulierungen und technische Innovationen. Wir werden uns mit der Presse, dem Fotojournalismus sowie mit Radio und Film im Zeitraum zwischen 1850 und 1930 befassen, wobei es gilt, nicht bei einer Abfolge von Einzelmedien stehenzubleiben, sondern miteinander verschränkte Medienensembles und (Teil-)Öffentlichkeiten zu untersuchen. Zentrale Themen sind nicht nur Presse- und Imagepolitiken, Medienskandale und die Herausbildung von Journalismus als Beruf, sondern vor allem die komplexen Wechselverhältnisse etwa zwischen Medien und Politik in Monarchie und Demokratie, Medien und Stadt, Medien und Krieg, Medien und Kolonialismus oder auch Medien und Geschlecht.

    Literatur: Corey Ross: Media and the Making of Modern Germany. Mass Communications, Society and Politics from the Empire to the Third Reich, Oxford 2008; Frank Bösch: Mediengeschichte (= Historische Einführungen 10), Frankfurt am Main 2011; Thomas Birkner: Das Selbstgespräch der Zeit. Die Geschichte des Journalismus in Deutschland 1605-1914, Köln 2012; Gerhard Paul: Das visuelle Zeitalter. Punkt & Pixel, Göttingen 2016.

  • Zeitgeschichte und Geschichtskultur (Übung, Leipzig)
    Wir wollen uns in erster Linie mit Phänomenen der Geschichtskultur auseinandersetzen. Dies wird vorrangig in der Analyse von u. a. Denk- und Mahnmalen, Museen und Filmen bestehen. Dabei gehen wir der Frage nach, welche Bedeutung geschichtskulturelle Phänomene für uns besitzen. Ein methodischer Schwerpunkt wird der Besuch von Museen und Denkmalen in Leipzig sein, um den Vergleich zu audiovisuellen Medien herstellen zu können. Geschichtstheoretisch stehen folgende Termini im Vordergrund: Geschichtsbewusstsein, Geschichtskultur, Vergangenheitspolitik und Geschichtspolitik.

Wintersemester 2016/17

  • „Es gilt das gesprochene Wort“. Die politische Rede im 19. und 20. Jahrhundert (Proseminar, Gießen)
    Als sich der zuvor eher unbekannte Senator Barack Obama mit begeisternden, rhetorisch ausgefeilten Reden im US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 durchsetzte, sprachen nicht wenige Beobachter von einer triumphalen Wiederkehr der politischen Rede. Doch hatte diese ihre Bedeutung eigentlich je eingebüßt? Wer die politische Rede für marginalisiert hielt, begründete dies meist mit dem Aufstieg der Massenmedien. In der Mediengesellschaft sei die traditionelle ars oratoria nicht mehr gefragt. Anhand bekannter und weniger bekannter Beispiele aus zwei Jahrhunderten fragt das Proseminar danach, was in unterschiedlichen Zeiten als eine „gute“ Rede galt und welchen Wandlungen Formen und Funktionen von politischen Reden unterworfen waren. Es geht dabei weniger um die Rhetorik als ihre Theorie, als vielmehr um die Praxis politischer Rede. Dabei soll die Analyse nicht auf Inhalte, d.h. den Redetext, beschränkt bleiben, sondern möglichst umfassend die konkreten Umstände einer politischen Rede berücksichtigen: ihr historischer Kontext, das räumliche Setting, ihr Publikum und die Interaktionen mit dem/der Redner/in, die An- oder Abwesenheit von Massenmedien, die Person des Redners/der Rednerin sowie die „Aufführung“ der Rede. Daher werden, sofern verfügbar, auch Ton- und Filmdokumente einbezogen.

    Literatur: Karl-Heinz Göttert: Mythos Redemacht. Eine andere Geschichte der Rhetorik, Frankfurt a. M. 2015; Christian K. Tischner: Historische Reden im Geschichtsunterricht, Wochenschau Verlag, Schwalbach/Ts. 2008.

Sommersemester 2015

  • Politische Kampagnen in der Bundesrepublik (Proseminar, Gießen)
    Politische Kampagnen zielen auf die Änderung von Einstellungen eines disparaten Publikums und sollen zu spezifischem erwünschtem Verhalten motivieren, sei es eine bestimmte Wahlentscheidung zu treffen, für afrikanische Kinder zu spenden oder Safer Sex zu praktizieren. Das Proseminar verfolgt den Wandel politischer Kampagnen in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1949 und 1995 und fragt insbesondere danach, wie sich politische Kommunikation in einer parlamentarischen Demokratie unter den Bedingungen einer Konsum- und sich entwickelnden Mediengesellschaft gestaltete. Anhand ausgewählter Fallbeispiele aus den Feldern Wahlkampf, Straßenverkehr, soziale Bewegungen, Spendenaufrufe, Umwelt und Gesundheit sollen unterschiedliche Formen und Charakteristika der Kampagnenführung, ihre Planung, Ausführung und Wirksamkeit herausgearbeitet und diskutiert werden. Die Kampagnen werden zugleich in ihren gesellschaftlichen und politischen Kontext eingeordnet, so dass das Proseminar einen Querschnitt der bundesdeutschen Zeitgeschichte bietet. Dabei soll quellennah mit Schwerpunkt auf visuellen Medien gearbeitet werden.Gleichberechtigt vermittelt das Proseminar die für das Geschichtsstudium notwendigen Grundlagen des wissenschaftlichen Arbeitens und bereitet intensiv auf das Abfassen von Hausarbeiten vor. Voraussetzung für die Teilnahme ist die Bereitschaft zur gründlichen Lektüre von Sekundärliteratur, rege Beteiligung an der Diskussion im Seminar und die Erledigung propädeutischer „Hausaufgaben“.

Wintersemester 2013/14

  • Der Erste Weltkrieg im Film (Proseminar, Gießen)
    Der Erste Weltkrieg wird nicht zuletzt wegen des massiven Einsatzes massenmedialer Propaganda gemeinhin als erster moderner Krieg der Geschichte sowie als ein paradigmatisches Medienereignis bezeichnet. Letzteres gilt vor allem auch retrospektiv in Bezug auf die Erinnerung an die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“, die sich durch eine – freilich gewissen Konjunkturen unterworfene – kontinuierliche öffentliche Präsenz bis heute auszeichnet: Für das Bild, das sich seither vom Ersten Weltkrieg gemacht wurde und wird, spielt von den Erinnerungsmedien der bei Kriegsausbruch mit nicht einmal 20 Jahren noch junge Film eine nicht zu unterschätzende Rolle. Ausgehend von der Filmpropaganda im Krieg verfolgt das Proseminar den Wandel der filmischen Repräsentationen des Weltkriegs im Spiel- und Dokumentarfilm mit Schwerpunkt auf der Zwischenkriegszeit, d.h. auf der späten Stumm- und frühen Tonfilmzeit, wobei auch Ausblicke in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts unternommen werden. Dabei werden die Filme keinesfalls als isolierte Artefakte betrachtet, sondern vielfältig historisch kontextualisiert, um sie als verschiedenen Deutungsansprüchen und Sinnzuschreibungen unterworfene mediale Produkte zu kennzeichnen, die trotz aller – zumal anfänglichen – Konflikthaftigkeit spezifische visuelle und narrative Topoi im Erinnerungsdiskurs etablieren und perpetuieren.Das Proseminar führt in die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Quellenwert von Filmen, die Grundlagen der Filmanalyse sowie das methodische Konzept der New Film History ein. Anschließend wird quellennah sowohl mit den Filmen als auch mit kontextualisierendem Quellenmaterial wie Filmbesprechungen, Programmheften etc. gearbeitet. Teilnahmevoraussetzung ist die Bereitschaft zur eigenständigen Recherche auch unpublizierter Quellen und zur Lektüre englischsprachiger Texte.

    Literatur: Philipp Stiasny: Das Kino und der Krieg. Deutschland 1914-1929, München 2009; Anton Kaes: Shell Shock Cinema. Weimar Culture and the Wounds of War, Princeton 2009; Rainer Rother / Karin Herbst-Meßlinger (Hg.): Der Erste Weltkrieg im Film, München 2009; Bernardette Kester: Film Front Weimar. Representations of the First World War in German Films in the Weimar Period (1919-1933), Amsterdam 2003.

  • Den Weltkrieg ausstellen, den Weltkrieg erinnern. Exkursion nach Ypern (Exkursionsseminar, Gießen)
    Jahrestage sind wichtige Marksteine für die Geschichts- und Erinnerungskultur. Vor 100 Jahren begann mit dem Ersten Weltkrieg der erste „industrialisierte Krieg“. Die belgische Region Flandern wurde von der Westfront durchzogen, vier Jahre Stellungskrieg verheerten ganze Landstriche. In der Gegend um die Stadt Ypern (Ypres, Ieper) fanden einige der „großen“ Schlachten des Ersten Weltkrieges statt, die mit den Namen Diksmuide, Langemarck, Passchendaele verbunden sind. 1915 in der zweiten Flandernschlacht wurde das erste Mal Chlorgas eingesetzt. Ypern selbst wurde im Verlauf des Krieges vollständig zerstört, in den zwanziger Jahren aber nach alten Plänen wieder aufgebaut.Die dreitägige Exkursion führt in die Stadt Ypern als zentralem Ort der Erinnerungslandschaft Westflanderns. Wie wurde und wird dort an den Ersten Weltkrieg erinnert? Im Rahmen der Exkursion werden wir Weltkriegsmuseen wie In Flanders Fields und das Passchendaele Museum besuchen, Soldatenfriedhöfe und die ehemaligen Schlachtfelder besichtigen und der Last Post-Zeremonie am Menentor beiwohnen.

    Literatur: John Horne (Hg.): A Companion to World War I, 2. Aufl., Oxford 2011; Thomas Thiemeyer: Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Die beiden Weltkriege im Museum, Paderborn 2010; Michael Salewski: Der Erste Weltkrieg, 2. Aufl., Paderborn 2004; Susanne Brandt: Vom Kriegsschauplatz zum Gedächtnisraum. Die Westfront 1914-1940, Baden-Baden 2000; Themenportal Erster Weltkrieg, Clio Online, URL: http://www.erster-weltkrieg.clio-online.de/

Sommersemester 2013

  • Die Politik der Unterhaltung. Zur Geschichte populärer Kultur 1900-1945 (Proseminar, Gießen)
    Lohnzuwächse und die Zunahme freier Zeit führten um 1900 zur Änderung von Konsumgewohnheiten: Die Nachfrage nach Unterhaltungsprodukten stieg; populäre Kultur etablierte sich als eine permanente Herausforderung an den Hegemonieanspruch „bürgerlicher“ Kultur. Paradoxerweise war die Diversifizierung von Öffentlichkeiten, kulturellen Ausdrucksformen und Praktiken, wie sie sich insbesondere seit 1918 intensivierte, mit dem Aufkommen standardisierter, industriell gefertigter Unterhaltungswaren verbunden. Ob Film, Boulevardzeitungen und Illustrierte, Belletristik, Hörfunk, Schlager, Kabarett, Varieté, Sport oder Mode – das Proseminar widmet sich der populären Kultur der Jahre zwischen 1900 und 1945 jenseits der üblichen, wissenschaftsgestützten Kanonbildungen. Dabei soll besonderes Augenmerk auf die Herausbildung und den Wandel des populärkulturellen Medienverbunds sowie dessen Wechselverhältnis mit der Politik, auch mit Blick auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten der politischen Zäsur des Jahres 1933, gelegt werden. In diesem Zusammenhang sind zudem die gängigen Narrative von den „Golden Twenties“ und vom nationalsozialistischen Deutschland als „Propagandastaat“ kritisch zu hinterfragen. Weiterhin werden die Herausbildung von spezifischen Aneignungs- und Umgangsformen der „Rezipienten“, soziale und regionale Differenzen im Umgang mit populärer Kultur sowie geschlechts- und körpergeschichtliche Fragen eine Rolle spielen. Das Proseminar dient zugleich der Einübung wissenschaftlicher Arbeitstechniken. Teilnahmevoraussetzung ist die Bereitschaft zur intensiven Lektüre auch englischsprachiger Texte.

    Literatur: Corey Ross: Media and the Making of Modern Germany. Mass Communications, Society and Politics From the Empire to the Third Reich, Oxford 2008; Hans-Otto Hügel: Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von „Unterhaltung“ und „Populärer Kultur“, Köln 2007; Kaspar Maase: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970, Frankfurt am Main 1997.

  • Perspektiven der Kulturgeschichte (Übung, Gießen)
    Seit den 1990er Jahren beherrscht die „Neue Kulturgeschichte“ die Methodendiskussion in den Geschichtswissenschaften. Unter Rückgriff auf Anregungen aus den Kultur-, Sprach-, Literatur- und Medienwissenschaften vermochte sie den Gegenstandsbereich der Geschichtswissenschaft zu entgrenzen sowie die an ihre „angestammten“ Gegenstände gerichteten Fragestellungen nachhaltig zu verändern. Zwar geht es kulturhistorischen Zugängen stets um die Beobachtung der historischen Variabilität der Produktion von Sinn und Bedeutung, jedoch stellt sich die Kulturgeschichte nicht als einheitliche Methode dar. Je nach zugrunde liegender (kultur-)theoretischer Prämisse entwickelt sie unterschiedliche Perspektiven auf einen Gegenstand. Nicht zuletzt deshalb sieht sie sich immer wieder konfrontiert mit Vorwürfen der postmodernen Beliebigkeit oder fehlenden Relevanz. Die Übung versteht sich als Einführung in die Kulturgeschichtsschreibung. Sie diskutiert den nicht unproblematischen Kulturbegriff, behandelt die Geschichte der Kulturgeschichte seit dem 19. Jahrhundert, wobei auch die jeweiligen Vorbehalte gegenüber kulturhistorischen Ansätzen angesprochen werden, und stellt exemplarisch einschlägige Studien vor. Unabdingbare Voraussetzung der erfolgreichen Teilnahme ist die Bereitschaft, ein überdurchschnittliches Lektürepensum zu bewältigen.

    Literatur: Achim Landwehr: Kulturgeschichte, Stuttgart 2009; Silvia Serena Tschopp / Wolfgang Weber: Grundfragen der Kulturgeschichte, Darmstadt 2007; Ute Daniel: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, 5. Aufl., Frankfurt am Main 2006.

Wintersemester 2012/13

  • Skandale im 20. Jahrhundert (Proseminar, Gießen)
    Skandale sind ein wichtiger Modus der Aushandlung von Normen und Werten in der Mediengesellschaft. Wo liegen die Grenzen (moralisch) zulässigen Verhaltens? Welchem historischen Wandel unterliegen solche Grenzziehungen im Längsschnitt? Das Proseminar fragt nach Formen und Funktionen von Skandalen in Politik, Kunst und Kultur im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf Deutschland und den USA. Geld, Macht und Sex, Blasphemie und Hakenkreuze – die Bandbreite der behandelten Fälle reicht vom Eulenburg-Skandal über die Spiegel-Äffare und Watergate bis zum CDU-Parteispendenskandal, von „Der Sünderin“ auf der Leinwand bis zum „Stellvertreter“ auf der Bühne. Das Proseminar dient zugleich der Einführung ins wissenschaftliche Arbeiten.

    Literatur: Frank Bösch: Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880-1914, München 2009; Stiftung Haus der Geschichte (Hg.): Skandale in Deutschland nach 1945, Bielefeld 2007; Steffen Burkhardt: Medienskandale. Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse, Köln 2006; Karl Otto Hondrich: Enthüllung und Entrüstung. Eine Phänomenologie des politischen Skandals, Frankfurt a. M. 2002; John B. Thompson: Political Scandal. Power and Visibility in the Media Age, Cambridge 2000.

  • Systemtheorie und Geschichtswissenschaft (Übung, Gießen)
    Unter den soziologischen Großtheorien ragt die Systemtheorie von Niklas Luhmann heraus: Sie bricht nicht nur mit gewohnten Denktraditionen, sondern erhebt auch einen universalistischen Anspruch, nämlich sämtliche soziale Phänomene zu erfassen, mithin auch sich selbst. Dabei enthält sie mit ihrem Evolutionsmodell der historischen Genese moderner Gesellschaften zugleich eine historische Dimension, die der kritischen Überprüfung durch die Geschichtswissenschaft bedarf, aber auch Anknüpfungsmöglichkeiten bietet. Dennoch spielt die Systemtheorie in der Geschichtswissenschaft gegenwärtig kaum eine Rolle. Ihr Denken gilt als zu voraussetzungsvoll, zu „schwierig“, zu wenig intuitiv und als inkompatibel zu bewährten Methoden geschichtswissenschaftlichen Arbeitens. Die Übung gliedert sich in zwei Teile: Zunächst soll durch die intensive Lektüre zentraler Passagen aus Luhmanns Schriften in die Grundlagen der Systemtheorie eingeführt werden. Anschließend wird anhand von exemplarischen Fallstudien diskutiert, inwiefern die Systemtheorie für die Arbeit von Historikerinnen und Historikern fruchtbar gemacht werden kann. Für die erfolgreiche Teilnahme an der Übung sind Vorkenntnisse in der Theorie sozialer Systeme nicht erforderlich, aber auch nicht hinderlich.

    Literatur: Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1997; Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt a. M. 1984; Frank Becker (Hg.): Geschichte und Systemtheorie. Exemplarische Fallstudien, Frankfurt a. M. / New York 2004; Frank Becker / Elke Reinhardt-Becker (Hg.): Systemtheorie. Eine Einführung für die Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt a. M. / New York 2001; Georg Kneer / Armin Nassehi: Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme. Eine Einführung, 3. Aufl., München 1997.

Sommersemester 2012

  • Sexualität im 20. Jahrhundert (Proseminar, Gießen)
    Michel Foucault stellte in „Sexualität und Wahrheit“ die Freud’sche These vom unterdrückten Geschlechtstrieb zugunsten einer Perspektivierung auf Wissens- und damit Machtstrukturen zurück und forderte die konsequente Historisierung von Sexualität. In der Folge sind seit den 1980er Jahren zahlreiche Arbeiten zur Sexualitätsgeschichte entstanden, die in Abkehr von essentialistischen bzw. naturalistischen Positionen den kulturellen und sozialen Konstruktionscharakter von Sexualität betonen. Ohne zwangsläufig der kulturkritischen These der sexualisierten Gesellschaft das Wort zu reden, scheint das zwanzigste dasjenige Jahrhundert zu sein, in dem das Sprechen über Sexualität bislang unerreichte Ausmaße angenommen hat. Das Proseminar widmet sich verschiedenen Aspekten des Geschlechtslebens im 20. Jahrhundert wie Sexualmoral, Sexualwissenschaft, Homosexualität, Pornographie, NS-Bevölkerungspolitik, Krieg und Sexualität, Sexualaufklärung oder auch der „sexuellen Befreiung“. Dabei spielen insbesondere in- und exkludierende und damit zugleich identitätsstiftende Kategorien und Begriffe wie Normalität, Nation, Rasse und Geschlecht eine zentrale Rolle. Das Proseminar dient zugleich der Einübung wissenschaftlicher Arbeitstechniken.

    Literatur: Dagmar Herzog: Sexuality in Europe. A Twentieth-Century History, Cambridge 2011; Franz X. Eder: Kultur der Begierde. Eine Geschichte der Sexualität, 2. Aufl., München 2009.

Wintersemester 2011/12

  • Populäre Kultur im Deutschland der Zwischenkriegszeit (Proseminar, Gießen)
    Lohnzuwächse und die Zunahme freier Zeit führten um 1900 zur Änderung von Konsumgewohnheiten im Deutschen Reich: Die Nachfrage nach Unterhaltungsprodukten stieg; populäre Kultur etablierte sich als eine permanente Herausforderung an den Hegemonieanspruch „bürgerlicher“ Kultur. Paradoxerweise war die Diversifizierung von Öffentlichkeiten, kulturellen Ausdrucksformen und Praktiken, wie sie sich insbesondere seit 1918 intensivierte, mit dem Aufkommen standardisierter, industriell gefertigter Unterhaltungswaren verbunden. Ob Film, Boulevardzeitungen und Illustrierte, Belletristik, Hörfunk, Schlager, Kabarett, Varieté, Sport oder Mode – das Proseminar widmet sich jenseits der üblichen, wissenschaftsgestützten Kanonbildungen der populären Kultur der Jahre zwischen 1918 und 1939. Dabei sollen sowohl die gängigen Narrative von den „Golden Twenties“ und vom nationalsozialistischen Deutschland als „Propagandastaat“ hinterfragt als auch Kontinuitäten und Diskontinuitäten der politischen Zäsur des Jahres 1933 diskutiert werden. Neben dem Wechselverhältnis von Politik und populärer Kultur werden auch die Herausbildung von spezifischen Aneignungs- und Umgangsformen der „Rezipienten“, soziale und regionale Differenzen im Umgang mit populärer Kultur sowie geschlechts-, körper- und emotionsgeschichtliche Fragen eine Rolle spielen. Das Proseminar dient zugleich der Einübung wissenschaftlicher Arbeitstechniken. Teilnahmevoraussetzung ist die Bereitschaft zur intensiven Lektüre auch englischsprachiger Texte.

    Literatur: Corey Ross: Media and the Making of Modern Germany. Mass Communications, Society and Politics From the Empire to the Third Reich, Oxford 2008; Hans-Otto Hügel: Lob des Mainstreams. Zu Begriff und Geschichte von „Unterhaltung“ und „Populärer Kultur“, Köln 2007; Kaspar Maase: Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Massenkultur 1850-1970, Frankfurt am Main 1997.

  • Filmstadt Berlin (Exkursionsseminar, Gießen)
    Das Filmstudio Babelsberg feiert 2012 sein 100jähriges Bestehen: 1912 wurde dort der erste Film gedreht. Doch Berlin war bereits zuvor eine Filmmetropole mit zahllosen Ateliers in Stadt und Umland. 1895 fand die erste Filmvorführung in Deutschland in Berlin statt. Dank der dort beheimateten Filmgesellschaft Ufa genoss der deutsche Film in den 1920er und 1930er Jahren Weltrang. Während in der Bundesrepublik die Stadt wegen ihrer Lage als Exklave trotz Großveranstaltungen wie der Berlinale allmählich zugunsten Münchens an Bedeutung verlor, produzierte die staatliche DDR-Filmgesellschaft DEFA weiterhin hauptsächlich in Berlin und Babelsberg. Die Exkursion erkundet Geschichte und Gegenwart der „Filmstadt Berlin“ und liefert einen Überblick über die dortigen, für die historische Filmforschung relevanten Einrichtungen: Bei Besuchen in Filmmuseen und -archiven werden didaktische Fragen zur Präsentation von Film und Vermittlung von Filmgeschichte im Rahmen von historischen Ausstellungen ebenso angesprochen wie die spezifischen Herausforderungen der wissenschaftlichen Arbeit mit dem Film als Quelle. Praktische Probleme können in Gesprächen mit Kuratoren und Archivaren erörtert werden.

    Literatur: Hans-Michael Bock / Wolfgang Jacobsen (Hg.): Recherche: Film. Quellen und Methoden der Filmforschung, München 1997; Wolfgang Jacobsen (Hg.): Babelsberg. Ein Filmstudio 1912-1992. Berlin 1992; Klaus Kreimeier: Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns, München / Wien 1992.