Der Schock der Authentizität

WerkstattGeschichte Nr. 69/2015 - Cover (c) Klartext VerlagGerade frisch erschienen: die neue Ausgabe von WerkstattGeschichte mit dem Schwerpunkt „anti/koloniale filme“. Darin ist ein Aufsatz von mir enthalten, der sich der Rezeption des italienischen Films „Africa Addio“ (1966) widmet. Dieses „shockumentary“ setzt sich – aus kolonialer Perspektive – mit dem Prozess der Dekolonisation auseinander und löste im Sommer 1966 einen der größeren, gleichwohl von der Forschung bislang nur wenig beachteten Filmskandale der Bundesrepublik aus. Dieser wurde schließlich von der sich formierenden Studentenbewegung radikalisiert. Der Beitrag zeigt, wie der Fall durch die schockauslösende Qualität filmischer Authentizität und deren skandalösem Potential prominent und vernehmbar eine Stellvertreterdebatte über das Verhältnis Deutschlands und Europas zum postkolonialen Afrika anstieß. Der Skandal als Modus der Auseinandersetzung führte jedoch dazu, dass diese Frage rasch aus dem Fokus verschwand. Als Studenten der Freien Universität Berlin – in Verbindung mit afrikanischen Kommilitonen – in einem Berliner Kino randalierten und auf dem Kurfürstendamm lautstark gegen „Africa Addio“ demonstrierten,  wurde der ursprüngliche Auslöser im Rahmen eines Skandals zweiter Ordnung bald vollständig überlagert von Empörung über die Aktionsformen der Protestierer und der Frage ihrer Legitimität. Die Studenten wiederum transponierten den Fall „Africa Addio“ in einen Skandal um den bundesdeutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit. Der Versuch, einen Zusammenhang von deutscher faschistischer Tradition und dem Schicksal des afrikanischen Kontinents zu entlarven, endete letztlich in einer allein auf Deutschland fixierten Auseinandersetzung. Den Protagonisten des Skandals lagen ihre eigene Gesellschaft, ihre politische Kultur und die Behauptung bzw. Erlangung von Deutungshoheit letztlich näher als die Sache des fernen Afrika.

Die Ausgabe von WerkstattGeschichte enthält eine Auswahl von Vorträgen, die auf einer im Dezember 2013 in Gießen veranstalteten Tagung zum (anti-)kolonialen Film gehalten wurden. Das Heft ist über den Buchhandel zu beziehen oder direkt beim Klartext Verlag.

Der Schock der Authentizität. Der Filmskandal um Africa Addio (1966) und antikolonialer Protest in der Bundesrepublik, in: WerkstattGeschichte 69 (2015), S. 35-51.

Mütterlichkeit und Mutterschaft

Ariadne Nr. 62 - Cover (c) Stiftung Archiv der deutschen FrauenbewegungBereits vor einiger Zeit ist ein kurzer Aufsatz aus dem Dunstkreis meines Dissertationsprojekts in der Zeitschrift Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte erschienen, der sich mit dem Filmskandal um die Schweizer Produktion „Frauennot-Frauenglück“  von 1929/30 beschäftigt. Der semi-dokumentarische Film, entstanden unter Beteiligung des sowjetischen Avantgarde-Regisseurs Sergej Eisenstein, thematisiert die Problematik illegaler Abtreibungen und stellt sie den hygienischen Bedingungen in einer modernen Frauenklinik gegenüber. Für moralische Empörung, vor allem in kirchlichen Kreisen, sorgten dokumentarische Aufnahmen einer Kaiserschnittgeburt: Der Film offenbare den heiligen Moment der Geburt einem breiten Publikum  und entweihe so die Mutterschaft, wie der gängigste Vorwurf lautete. Im Filmskandal um „Frauennot-Frauenglück“ vermengten sich exemplarisch Auseinandersetzungen um Sicht- bzw. Zeigbarkeiten und die Geschlechterordnung. Dabei wird auch die Bedeutung eines Konzepts von Mutterschaft für die Geschlechterordnung deutlich, das in den Augen der Skandalisierer und Skandalisierinnen vor Angriffen des Films verteidigt werden musste. Zugleich ermöglicht dieser Filmskandal einen Blick auf Diskurszugänge, also Möglichkeiten des Sprechens und Gehörtwerdens, von Frauen zur Zeit der Weimarer Republik.

Mütterlichkeit und Mutterschaft. Der Filmskandal um „Frauennot-Frauenglück“ (1929/30), in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 27 (2012), H. 62, S. 32-40.

Mythos, Film, Skandal

Cover: Filmblatt Nr. 43/2010Noch ein Nachtrag: Im Filmblatt (Nr. 43) erschien ein Beitrag von mir über einen Filmskandal, mit dem Anfang 1930 in Bayern auf eine vermeintliche Herausforderung regionaler geschichtlicher Identität reagiert wurde.

Wilhelm Dieterle stellt in seiner Filmbiografie „Ludwig der Zweite, König von Bayern“ von 1929 den „Märchenkönig“ als einen von seinem Innersten getriebenen Menschen vor, der an den Zwängen des Amtes und einem intriganten Umfeld scheiterte. Fast 50 Jahre nach dem mysteriösen Tod des Monarchen berührte das Thema immer noch tief das bayerische Selbstverständnis. Rechte Verbände und die bayerische Regierung liefen Sturm gegen den Film, obwohl ihn noch niemand gesehen hatte. Der Filmskandal verschärfte sich, als die Münchener Polizei trotz reichsweiter Zulassung ein örtliches Verbot aussprach. Der Fall schildert eindrücklich, wie sich regionale Identitäten ihrer selbst versichern und allen vermeintlichen Gefährdungen durch einen Film zum Trotz gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen.

Mythos, Film, Skandal. Wilhelm Dieterles Filmbiografie „Ludwig der Zweite“ (1929) als Streitfall regionaler Identitäten, in: Filmblatt 17 (2010), H. 43, S. 45-64.

Kinemaklasmus

Cover: Medialisierte EreignisseDieser Neologismus bezeichnet – in Anlehnung an den Begriff „Ikonoklasmus“ – die spezifischen Formen von Protestartikulation im Kino. Welche Spuren hinterlassen Angriffe auf Filme? Welche Grenzen sind solchen Protesten durch das Kino als sozialem Ort und mediales Dispositiv gesetzt? Diesen Fragen geht mein Beitrag mit dem Titel Kinemaklasmus – Protestartikulation im Kino im neu erschienenen, von Frank Bösch und Patrick Schmidt herausgegebenen Sammelband Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert (Campus Verlag, Frankfurt am Main) nach und unternimmt den Versuch, anhand der Kinoproteste der 1920er und frühen 1930er Jahre und in Abgrenzung zu Theater- und Opernskandalen einen systematischen Aufriss von Kinoprotesten als Praxis symbolischer Kommunikation zu leisten.

Der Sammelband geht zurück auf eine im Juni 2008 vom Gießener Graduiertenkolleg Transnationale Medienereignisse von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart veranstaltete Tagung und nimmt die Wechselverhältnisse von Medialität und körperlicher Performanz in historischer Perspektive in den Blick. Der Band enthält zahlreiche weitere lesenswerte Beiträge, etwa von Susann Trabert über Ballonaufstiege im späten 18. Jahrhunder als Performances, von Kathrin Fahlenbrach über die medialen Körperinszenierungen der 68er-Bewegung oder René Schlott zur Medialisierung von Ritualen anhand des Todes von Papst Pius XII., um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Kinemaklasmus. Protestartikulation im Kino, in: Frank Bösch / Patrick Schmidt (Hg.): Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2010, S. 179-197.

Filmskandal und gesellschaftlicher Wandel

Vom 17. bis 19. Februar 2010 fand in Gießen die Tagung Medien.Kultur.Wandel statt, organisiert von der Research Area „Culture and Performativity“ des Graduate Centre for the Study of Culture statt. Das Panel „Transgressionen“ versammelte u.a. Beiträge über Grenzüberschreitungen im Horrorfilm und Körperverletzungen in der Performancekunst – und über Filmskandale. Mein Paper mit dem Titel „Skandalgemeinschaften“ fragte am Beispiel von Ludwig der Zweite, König von Bayern (D 1929) nach der vergemeinschaftenden Wirkung von Skandalen vor dem Hintergrund der Erfahrung gesellschaftlichen Wandels.

Die Politik des Filmskandals

Soeben ist der von Hans-Peter Becht, Carsten Kretschmann und Wolfram Pyta herausgegebene Tagungsband mit dem Titel Politik, Kommunikation und Kulturin der Weimarer Republik erschienen. Darin enthalten mein Beitrag Die Politik des Filmskandals. Die kommunikativen Folgen des Skandals um den Film „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930), der untersucht, wie der bekannteste Filmskandal der Weimarer Republik in anschließenden Filmskandalen und Debatten verwendet wird und die dort verhandelten Filme einer politischen Perspektive unterstellt.

Die Politik des Filmskandals. Die kommunikativen Folgen des Skandals um den Film „Im Westen nichts Neues“ (USA 1930), in: Hans-Peter Becht / Carsten Kretschmann / Wolfram Pyta (Hg.): Politik, Kommunikation und Kultur in der Weimarer Republik, Heidelberg 2009, S. 161-178.

Kulturgeschichtetag in der Kulturhauptstadt

Vom 12. bis 15. September fand in Linz, Kulturhauptstadt Europas 2009, an der dortigen Johannes Kepler-Universität der bereits zweite Kulturgeschichtetag statt. Ich war mit einem Vortrag im von Frank Bösch eingereichten und geleiteten Panel „Normen, Politik und Skandale im 20. Jahrhundert“ vertreten.

Mein Beitrag sollte am Fallbeispiel des Skandals um den Wilhelm Dieterle-Film Ludwig der Zweite, König von Bayern (D 1929) zeigen, wie Medien einen Skandal als einen solchen konstituieren, obwohl der betreffende Film fast gänzlich unbekannt ist. Der Skandal funktionierte dennoch, da in ihm moralische Empörung über Sachverhalte geäußert wurde, die unabhängig vom Film bestanden und vielmehr auf ihn projiziert wurden. So verhandelte dieser Skandal letztlich konkurrierende politische Deutungen und leistete einen Beitrag zur Bestätigungund Festigung regionaler Identitäten.

Weitere Vortragende waren Norman Domeier („Umkämpfte Männlichkeit. Homosexualität und Politik im späten Kaiserreich“) und Nils Kessel (Tödliche Grenzziehungen. Medizinskandale nach 1945“).