Neuer Aufsatz zu Kinokämpfen in der Weimarer Republik

Buchcover: Hessische Skandale. Medien, Gesellschaften und Normkonflikte

Wegen Papierknappheit hat es etwas länger gedauert, doch jetzt ist der Band Hessische Skandale. Medien, Gesellschaften und Normkonflikte endlich erschienen. Dieser Tagungsband ohne Tagung – die im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden geplante Konferenz fiel leider der Pandemie zum Opfer – vereinigt einen bunten Strauß an Fallstudien. Den Untersuchungen von Skandalen mit mal mehr, mal weniger Hessenbezug stehen zwei konzeptionelle Beiträge zur Seite, die den theoretischen Rahmen der historischen Skandalforschung abstecken.

Mein Beitrag mit dem Titel Kinokämpfe. Filmskandale und die politische Kultur der Weimarer Republik versucht beides miteinander zu verbinden: Anhand von Skandalen um Kriegsfilme wie Im Westen nichts Neues (USA 1930) und politischer Filme wie Panzerkreuzer Potemkin (SU 1925) stelle ich Überlegungen zur gesellschaftlichen Funktion von Skandalen an und setze sie in Beziehung zur Geschichte der politischen und medialen Kultur der Weimarer Republik.

Kinokämpfe. Filmskandale und die politische Kultur der Weimarer Republik, in: Alexander Jehn / Andreas Hedwig / Rouven Pons (Hg.): Hessische Skandale. Medien, Gesellschaften und Norm­konflikte, Wiesbaden 2021, S. 205-221.

Sicherheitsdidaktiken im 20. Jahrhundert: GWU-Themenheft erschienen

GWU 9/10 2020

Das von mir zusammengestellte Themenheft von Geschichte in Wissenschaft und Unterricht zu Sicherheitsdidaktiken im 20. Jahrhundert ist jetzt erschienen. In fünf Beiträgen gehen die Autorinnen und Autoren der Frage nach den historischen Wandlungen von Ansätzen des Lehrens und Lernens von „Sicherheit‟ und ihren methodischen Umsetzungen nach. Wie wurde zu unterschiedlichen Zeiten versucht, die Lernenden zu erwünschten Verhaltensanpassungen im Sinne eines Zugewinns an Sicherheit bzw. der Vermeidung von Risiken zu motivieren? Die Aufsätze leisten nicht allein Beiträge zu einer Zeitgeschichte der Sicherheit, sondern eröffnen ihr zugleich neue gesellschafts-, mentalitäts- und mediengeschichtliche Perspektiven.

Henning Tümmers schlägt in seinem Text einen weiten Bogen vom frühen 20 Jahrhundert bis in die Gegenwart und kann, ob Syphilis, HIV/AIDS oder Corona, einige sicherheitsdidaktische Konstanten in der Kommunikation von Verhaltensmaßnahmen der Seuchenprävention ausmachen. Ebenfalls in einer Längsschnittperspektive betrachtet Nina Kleinöder am Beispiel der Stahlindustrie die Geschichte des betrieblichen Unfallschutzes und stellt einen Wandel von reaktiven Formen hin zu moderner Präventionsarbeit fest. Mein eigener Beitrag zur Geschichte der schulischen Verkehrserziehung kann zeigen, wie sich die Didaktik des Verkehrsunterrichts unter den Vorzeichen von Massenmotorisierung und Verwissenschaftlichung von Vernunftappellen und Ansätzen der Wissensvermittlung hin zu Selbstführung und Kompetenzorientierung entwickelten. Phillip Wagner geht der Frage nach, mit welchen Ansätzen und Methoden die politische Bildung in den 1980er Jahren die Demokratie gegen Bedrohungen abzusichern versuchte. Franzisika Rehlinghaus zeigt in ihrem Beitrag an einem anschaulichen Beispiel, welche Sicherheitsversprechen die Weiterbildungsbranche in den 1970er/80er Jahren unterbreitete und mit welchen Methoden versucht wurde, die Kundinnen und Kunden in die Lage zu versetzen, biographische Kontingenzen zu bearbeiten. Eingeleitet wird das Themenheft von einem konzeptionellen Aufriss, in dem ich in aller Kürze versuche, das Forschungsfeld der Sicherheitsdidaktik zu profilieren.

Auf der Webseite des Friedrich-Verlags lässt sich ein Blick ins Inhaltsverzeichnis werfen.

Themenheft „Sicherheitsdidaktiken im 20. Jahrhundert“, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 71 (2020), Nr. 9/10.

„Hör auf deine Frau, fahr‘ vorsichtig“

Cover Der Alltag der (Un-)Sicherheit - (c) Panama Verlag

Im Berliner Panama-Verlag ist kürzlich ein von Alexandra Schwell und Katharina Eisch-Angus herausgegebener Sammelband erschienen, der die „(Un-)Sicherheitsgesellschaft“ des 20. und 21. Jahrhunderts mit kulturanthropologischer Brille in den Blick nimmt, aber auch historische Perspektiven nicht ausspart. Ich bin darin mit einem Beitrag vertreten, der zeigt, wie die Verkehrssicherheitsarbeit in der Bundesrepublik versuchte, in ihren praktischen Maßnahmen und öffentlichen Kampagnen („Hör auf deine Frau, fahr vorsichtig“, „Komm gut heim“, Schülerlotsendienst) bestehende soziale Strukturen im privaten Umfeld nutzbar zu machen. In diesem Sinne arbeitete die Verkehrserziehung nicht allein mit bestimmten Gesellschaftsmodellen und Normvorstellungen sozialer und politischer Ordnung, sondern sie bediente sich zugleich bestehender Machtstrukturen im familiären Umfeld sowie in Bildungs- und Sozialisationskontexten. Dabei wurden private Räume und Beziehungen zum integralen Bestandteil eines „Sicherheitsdispositivs“. Diese These wird ausgehend von Beispielen aus den 1950er und 1960er Jahren bis nah an die Gegenwart verfolgt. Dabei wird deutlich, dass bei allen Unterschieden in der konkreten Kampagnenführung und trotz umfassenden Wertewandels hinsichtlich der aufgerufenen Geschlechterrollen und Familienbildern eine frappierende Kontinuität von den frühen 1950er Jahren bis in die Gegenwart herrscht.

Update 02.04.2020: Marcus Böick hat den „überaus anregenden Sammelband“ am 08.01.2020 für H-Soz-Kult rezensiert.

„Hör auf deine Frau – fahr‘ vorsichtig!“ Historische Perspektiven auf die Sphäre des Privaten in der Verkehrssicherheitsarbeit, in: Alexandra Schwell / Katharina Eisch-Angus (Hg.): Der Alltag der (Un)sicherheit. Ethnographisch-kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die Sicherheitsgesellschaft, Berlin 2018, S. 64-87.

„Weimarer Kino – neu gesehen“ mit Willy-Haas-Preis ausgezeichnet

Cover Weimarer Kino neu gesehen - Cover (c) Bertz+FischerDie Retrospektive der Berlinale 2018 widmete sich dem Weimarer Kino und präsentierte weitgehend unbekannte Facetten und neu zu entdeckende Filme. Das Begleitbuch „Weimarer Kino – neu gesehen“ zur Retrospektive, in dem ich mit einem Aufsatz über „Umkämpfte Filme. Skandal und Zensur im Kino der Weimarer Republik“ vertreten bin, ist am 21.11.2018 auf dem Cinefest in Hamburg mit dem Willy-Haas-Preis für das beste deutsche Filmbuch ausgezeichnet worden. Die Jury hob in ihrer Begründung hervor: „Besonders lobenswert erscheint, dass sich das ‚neu gesehen‘ tatsächlich auf ‚neue‘, d.h. bisher kaum betrachtete Filme bezieht. Darüber hinaus überzeugt der Band auf den ersten Blick mit einer sehr guten Bildqualität und einem tollen Layout und Satz. Ein Buch, das Lust auf die Filme macht.“ Der von Karin Herbst-Meßlinger, Annika Schäfer und Rainer Rother herausgegebene Band ist mehr als ein klassisches Begleitbuch: Reich bebildert enthält er sowohl Aufsätze von Filmhistorikerinnen und -historikern auf aktuellem Forschungsstand als auch eingestreute Kurzessays von bekannten Filmemacherinnen und Filmemachern wie Wim Wenders und Jutta Brückner.

Update 29.12.2018: Hans Helmut Prinzler, der in seinem Blog Filmbuch-Rezensionen Monat für Monat unzählige Neuerscheinungen bespricht, hat „Weimarer Kino  – neu gesehen“ als Filmbuch des Jahres 2018 ausgezeichnet.

Umkämpfte Filme. Skandal und Zensur im Kino der Weimarer Republik, in: Karin Herbst-Meß­linger / Rainer Rother / Annika Schaefer (Hg.): Weimarer Kino – neu gesehen, Berlin 2018, S. 214-236.

Unfallprävention durch Automatismen?

Cover Vorsorgen in der Moderne - (c) DeGruyter OldenbourgIn den 1960er Jahren fand ein Paradigmenwechsel in der Verkehrserziehung statt, der eng verbunden war mit einer Diskussion über die Bedeutung vorbewussten Verhaltens für die Verkehrssicherheit ein. Ließen sich Unfälle wirksamer verhüten, fragten sich die Experten, wenn man die Verkehrserziehung auf Automatismen abstellte? Wenn man die Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer nunmehr erfolgreich motivierte, richtiges, der Situation angemessenes Verhalten zu verinnerlichen und abrufbar zu halten? Dieser Debatte geht ein Beitrag von mir nach, der in einem von Nicolai Hannig und Malte Thießen herausgegebenen Sammelband enthalten ist, und ordnet sie in die Geschichte der Prävention in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein. Bereits Ende letzten Jahres ist Vorsorgen in der Moderne. Akteure, Räume und Praktiken in der Schriftenreihe der Viertelsjahrshefte für Zeitgeschichte bei DeGruyter Oldenbourg erschienen. Die Bandbreite der Beiträge reichen vom Strafvollzug über Ernährung bis hin zur Verweigerung von Vorsorge. Mittlerweile ist das Buch auch sehr gut besprochen worden, etwa in einer Rezension auf H-Soz-Kult.

Automatismen als Unfallprävention? Verkehrssicherheit in der frühen Bundesrepublik im Zeichen von Selbstkontrolle und Resilienz, in: Nicolai Hannig / Malte Thießen (Hg.): Vorsorgen in der Moderne. Akteure, Räume und Praktiken (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 115), München 2017, S.147-167.

Verkehrserziehung in der frühen Bundesrepublik und das Konzept der Selbstkontrolle

Cover Historical Social Research 41, H. 1 - (c) GesisVor einigen Wochen ist ein Themenheft von Historical Social Research zu „Risk as an Analytical Category“ erschienen. Die von Peter Itzen und Simone M. Müller (beide Freiburg) herausgegebene Ausgabe enthält sehr lesenswerte Artikel, u.a. von Sebastian Haus zu den Risikostrategien der westdeutschen Schwulenszene gegenüber HIV/AIDS oder von Malte Thießen zur Geschichte der Auseinandersetzung mit Impfrisiken. Ich bin mit dem Beitrag „Road Safety and Traffic Education in Post-War Germany“ vertreten, der einem Paradigmenwechsel im Umgang der bundesdeutschen Verkehrserziehung mit Unfallrisiken in den 1950er bis 1970er Jahren nachspürt:

In den 1950er Jahren sah sich die Verkehrspolitik der Bundesrepublik Deutschland mit einer Situation konfrontiert, die zeitgenössisch als „Verkehrskrise“ bezeichnet wurde. In nur wenigen Jahren nahm die Anzahl der Kraftfahrzeuge auf westdeutschen Straßen rapide zu, und dies galt auch für die Zahl der Unfälle und Unfalltoten. Entsprechend wurden die Bemühungen auf dem Gebiet der Verkehrserziehung stark ausgeweitet. Der Artikel untersucht anhand öffentlicher Kampagnen und Expertendiskurse die Karriere des Konzepts von Selbstkontrolle unter Verkehrssicherheitsexperten und seinen Beitrag zu einem Paradigmenwechsel in der westdeutschen Verkehrserziehung. Im Laufe der drei Dekaden von den 1950er bis 1970er Jahren verschob sich die Perspektive von externer Regulierung durch disziplinäre Maßnahmen und Appelle an die Vernunft hin zu der Internalisierung adäquaten Verhaltens im Straßenverkehr und Kompetenz hinterm Steuer. Die Verkehrserziehung versuchte nun vielmehr, die Verkehrsteilnehmer zur Selbstregulierung zu bewegen und ihre Fähigkeit zu verbessern, sich an Verkehrssituationen anzupassen. Ziel war die Etablierung eines spezialisierten „Siebten Sinns“ als Kernelement traditionellen Risikoverhaltens. Selbstkontrolle, so wie das Konzept in Kampagnen und anderen Verkehrssicherheitsmaßnahmen umgesetzt wurde, arbeitete mit erwünschten Vorstellungen soziopolitischer Ordnung und vom gesellschaftlichen Zusammenleben. Dies waren insbesondere traditionelle Familien- und Geschlechterrollen, christliche Werte und demokratische Freiheit.

Der Beitrag kann als PDF-Datei heruntergeladen werden.

Teaching Self-Control. Road Safety and Traffic Education in Post-War Germany, in: Historical Social Research 41 (2016), H. 1, S. 135-153.

Projektionen der Moral. Filmskandale in der Weimarer Republik

Kai Nowak: Projektionen der Moral. Filmskandale in der Weimarer RepublikGut zwei Jahre nach der Abgabe der Dissertation liegt seit Herbst 2015 endlich das Buch über Filmskandale im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vor und sei all jenen ans Herz gelegt, die sich für die Geschichte der Weimarer Republik, für Medien- und Filmgeschichte und die politische Kultur der bewegten Jahre von 1918 bis 1933 interessieren. Aus der Verlagsankündigung: „Der Film war von Beginn an gleichermaßen Faszination wie Provokation. Er lotete die Grenzen des Zeigbaren aus, dehnte sie, überschritt sie. Galt das Kino in seinen Anfängen noch selbst als skandalös, wurden zunehmend einzelne Filme zum Skandalon erhoben. Kai Nowak untersucht erstmals systematisch Filmskandale im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts unter Rückgriff auf eine breite Presse-, Film- und Aktenüberlieferung. Er zeigt, inwieweit Filmskandale als Seismographen des gesellschaftlichen Werte- und Normenwandels in der Moderne fungierten und die Deutung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Weimarer Republik ausfochten. Im Konflikt über Fragen wie den angemessenen Umgang mit den Grenzbereichen des Lebens, Vorstellungen staatlicher Ordnung, nationaler und regionaler Identität oder der Geschlechterordnung verhandelten Filmskandale nichts weniger als die politisch-moralischen Grundlagen des Gemeinwesens. Denn Filmskandale waren, so die These des Buches, Projektionen der Moral.” Der 528 Seiten starke Band enthält 20 Abbildungen und ist auch als E-Book erhältlich. Über die Deutsche Nationalbibliothek ist ein Blick ins Inhaltsverzeichnis möglich.

Projektionen der Moral. Filmskandale in der Weimarer Republik (= Medien und Gesellschaftswandel im 20. Jahrhundert 5), Göttingen: Wallstein 2015.

€ 44,00 (D) / € 45,30 (A), 528 S., 20 Abb., Schutzumschlag, ISBN: 978-3-8353-1703-1

Der Schock der Authentizität

WerkstattGeschichte Nr. 69/2015 - Cover (c) Klartext VerlagGerade frisch erschienen: die neue Ausgabe von WerkstattGeschichte mit dem Schwerpunkt „anti/koloniale filme“. Darin ist ein Aufsatz von mir enthalten, der sich der Rezeption des italienischen Films „Africa Addio“ (1966) widmet. Dieses „shockumentary“ setzt sich – aus kolonialer Perspektive – mit dem Prozess der Dekolonisation auseinander und löste im Sommer 1966 einen der größeren, gleichwohl von der Forschung bislang nur wenig beachteten Filmskandale der Bundesrepublik aus. Dieser wurde schließlich von der sich formierenden Studentenbewegung radikalisiert. Der Beitrag zeigt, wie der Fall durch die schockauslösende Qualität filmischer Authentizität und deren skandalösem Potential prominent und vernehmbar eine Stellvertreterdebatte über das Verhältnis Deutschlands und Europas zum postkolonialen Afrika anstieß. Der Skandal als Modus der Auseinandersetzung führte jedoch dazu, dass diese Frage rasch aus dem Fokus verschwand. Als Studenten der Freien Universität Berlin – in Verbindung mit afrikanischen Kommilitonen – in einem Berliner Kino randalierten und auf dem Kurfürstendamm lautstark gegen „Africa Addio“ demonstrierten,  wurde der ursprüngliche Auslöser im Rahmen eines Skandals zweiter Ordnung bald vollständig überlagert von Empörung über die Aktionsformen der Protestierer und der Frage ihrer Legitimität. Die Studenten wiederum transponierten den Fall „Africa Addio“ in einen Skandal um den bundesdeutschen Umgang mit der NS-Vergangenheit. Der Versuch, einen Zusammenhang von deutscher faschistischer Tradition und dem Schicksal des afrikanischen Kontinents zu entlarven, endete letztlich in einer allein auf Deutschland fixierten Auseinandersetzung. Den Protagonisten des Skandals lagen ihre eigene Gesellschaft, ihre politische Kultur und die Behauptung bzw. Erlangung von Deutungshoheit letztlich näher als die Sache des fernen Afrika.

Die Ausgabe von WerkstattGeschichte enthält eine Auswahl von Vorträgen, die auf einer im Dezember 2013 in Gießen veranstalteten Tagung zum (anti-)kolonialen Film gehalten wurden. Das Heft ist über den Buchhandel zu beziehen oder direkt beim Klartext Verlag.

Der Schock der Authentizität. Der Filmskandal um Africa Addio (1966) und antikolonialer Protest in der Bundesrepublik, in: WerkstattGeschichte 69 (2015), S. 35-51.

Mütterlichkeit und Mutterschaft

Ariadne Nr. 62 - Cover (c) Stiftung Archiv der deutschen FrauenbewegungBereits vor einiger Zeit ist ein kurzer Aufsatz aus dem Dunstkreis meines Dissertationsprojekts in der Zeitschrift Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte erschienen, der sich mit dem Filmskandal um die Schweizer Produktion „Frauennot-Frauenglück“  von 1929/30 beschäftigt. Der semi-dokumentarische Film, entstanden unter Beteiligung des sowjetischen Avantgarde-Regisseurs Sergej Eisenstein, thematisiert die Problematik illegaler Abtreibungen und stellt sie den hygienischen Bedingungen in einer modernen Frauenklinik gegenüber. Für moralische Empörung, vor allem in kirchlichen Kreisen, sorgten dokumentarische Aufnahmen einer Kaiserschnittgeburt: Der Film offenbare den heiligen Moment der Geburt einem breiten Publikum  und entweihe so die Mutterschaft, wie der gängigste Vorwurf lautete. Im Filmskandal um „Frauennot-Frauenglück“ vermengten sich exemplarisch Auseinandersetzungen um Sicht- bzw. Zeigbarkeiten und die Geschlechterordnung. Dabei wird auch die Bedeutung eines Konzepts von Mutterschaft für die Geschlechterordnung deutlich, das in den Augen der Skandalisierer und Skandalisierinnen vor Angriffen des Films verteidigt werden musste. Zugleich ermöglicht dieser Filmskandal einen Blick auf Diskurszugänge, also Möglichkeiten des Sprechens und Gehörtwerdens, von Frauen zur Zeit der Weimarer Republik.

Mütterlichkeit und Mutterschaft. Der Filmskandal um „Frauennot-Frauenglück“ (1929/30), in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 27 (2012), H. 62, S. 32-40.

Mythos, Film, Skandal

Cover: Filmblatt Nr. 43/2010Noch ein Nachtrag: Im Filmblatt (Nr. 43) erschien ein Beitrag von mir über einen Filmskandal, mit dem Anfang 1930 in Bayern auf eine vermeintliche Herausforderung regionaler geschichtlicher Identität reagiert wurde.

Wilhelm Dieterle stellt in seiner Filmbiografie „Ludwig der Zweite, König von Bayern“ von 1929 den „Märchenkönig“ als einen von seinem Innersten getriebenen Menschen vor, der an den Zwängen des Amtes und einem intriganten Umfeld scheiterte. Fast 50 Jahre nach dem mysteriösen Tod des Monarchen berührte das Thema immer noch tief das bayerische Selbstverständnis. Rechte Verbände und die bayerische Regierung liefen Sturm gegen den Film, obwohl ihn noch niemand gesehen hatte. Der Filmskandal verschärfte sich, als die Münchener Polizei trotz reichsweiter Zulassung ein örtliches Verbot aussprach. Der Fall schildert eindrücklich, wie sich regionale Identitäten ihrer selbst versichern und allen vermeintlichen Gefährdungen durch einen Film zum Trotz gestärkt aus dem Konflikt hervorgehen.

Mythos, Film, Skandal. Wilhelm Dieterles Filmbiografie „Ludwig der Zweite“ (1929) als Streitfall regionaler Identitäten, in: Filmblatt 17 (2010), H. 43, S. 45-64.