Am 20. April 2021 startet an der Universität Leipzig die digitale Ringvorlesung „Märsche der Moderne“. An zehn Terminen im Sommersemester, jeweils dienstags von 17 bis 19 Uhr, loten insgesamt dreizehn Vortragende „Varianten eines globalen Phänomens“ aus. Das Spektrum reicht von Gandhis Salzmarsch über die Ostermärsche bis hin zu feministischen Märschen der Gegenwart. In der ersten Sitzung geben Jürgen Dinkel und ich als Organisatoren der Reihe zunächst eine Einführung, danach übernimmt Hubertus Büschel (Kassel) und spricht zu Märschen als Inszenierungen von Dekolonisierung und neuer Staatlichkeit in Afrika. Das vollständige Programm ist unten aufgeführt, das Plakat der Ringvorlesung gibt es als Download.
Die Vorträge werden live über den Youtube-Kanal des ZMP der Universität Leipzig gestreamt.
Ankündigung
Es ist eine Binsenweisheit, gerade in Zeiten von Fridays for Future und Pegida: Politik findet nicht nur in den Kabinetten und Parlamenten statt. Menschen bringen sich und ihre Forderungen auf die Straße; sie bewegen sich, um etwas zu bewegen. Die Ringvorlesung widmet sich Märschen als wichtigem Element politischer Partizipation und Herrschaftsinszenierung in der Massengesellschaft des 20. und 21. Jahrhunderts. Märsche vereinen charakteristische Elemente der Moderne: das Auftreten als Gruppe bzw. Gemeinschaft, das Agieren im Spannungsfeld zwischen Ordnung und Dynamik sowie zwischen lokalem Handlungsraum und nationalen bzw. globalen (Medien-)Öffentlichkeiten. Märsche setzen auf breite aktive Teilnahme und nehmen dadurch fast schon einen plebiszitären Charakter an. Sie können auf die Bestätigung des Status quo zielen oder aber den Wunsch nach Veränderungen öffentlich zum Ausdruck bringen. Märsche stellen insofern ein weithin sichtbares Instrument zur Legitimierung respektive Delegitimierung politischer Herrschaft dar, das der Demonstration von Machtansprüchen oder von (abweichenden) politischen Agenden dienen kann. Insbesondere für politisch unterrepräsentierte Gruppen und soziale Bewegungen können Märsche identitätsstiftend sein und eine Erfahrung kollektiver Handlungsmacht vermitteln.
Das 20. Jahrhundert ist reich an (ikonischen) Märschen: von Frauen- und Arbeitermärschen Anfang des Jahrhunderts über Mussolinis Marsch auf Rom (1923), Gandhis Salzmarsch (1930), Martin Luther Kings Marsch auf Washington (1963), dem Marsch „Für Gleichheit – gegen Rassismus“ in Frankreich (1983), Märschen für und gegen Europa, (Auf-)Märschen und Militärparaden in den sozialistischen Staaten, den Ostermärschen der Friedensbewegung bis hin zu den Slut Walks der Gegenwart. Die Ringvorlesung greift einzelne dieser bekannten, aber auch einige weniger bekannte Beispiele heraus. Die Märsche in ihren spezifischen lokalen, nationalen und transnationalen Dimensionen geben den Blick frei sowohl auf zentrale Konfliktlagen des 20. Jahrhunderts als auch auf sich aktualisierende Formen des Politischen. Dies gilt freilich auch retrospektiv: Nicht wenige Märsche sind ins kollektive Gedächtnis eingegangen oder wurden in geschichtspolitischer Absicht instrumentalisiert. Die Ringvorlesung lädt zum Vergleich und zur Systematisierung der jeweiligen Märsche und damit den unterschiedlichen historischen Manifestationen eines bis in die Gegenwart aktuellen globalen politischen Phänomens ein.
Programm
20.04.2021
Jürgen Dinkel / Kai Nowak (beide Leipzig): Einführung. Märsche als Sonden ins
20. Jahrhundert
Hubertus Büschel (Kassel): Märsche und Paraden. Inszenierungen von Dekolonisierung und neuer Staatlichkeit in Afrika
27.04.2021
Anne C. Nagel (Gießen) / Ulrich Sieg (Marburg): Die Wissenschaft marschiert
04.05.2021
Ute Schneider (Duisburg-Essen): „Unser Marsch ist eine gute Sache“. Ostermarsch im Ruhrgebiet
11.05.2021
Silke Satjukow (Halle) / Rainer Gries (Wien): Der „Heilige Krieg“ (Sowjetunion 1941) – Marsch und Hymne
18.05.2021
Dieter Gosewinkel (Berlin): Für Gleichheit – gegen Rassismus. Postkoloniale MigrantInnen auf dem „marche des beurs“ 1983
25.05.2021
Winfried Speitkamp (Weimar): Marsch und Mythos. Lettow-Vorbeck in Ostafrika 1917/18
01.06.2021
Maren Möhring (Leipzig): „Come walk or roll or strut or holler or stomp with us”. SlutWalks als feministische Märsche?
08.06.2021
Vanessa Conze (Gießen) / Eckart Conze (Marburg): L‘Europe en marche. Marschieren für und gegen Europa seit 1945
15.06.2021
Detlev Brunner (Leipzig): „Mit uns zieht…“ Zum Marschieren in Sozialen Bewegungen im langen 20. Jahrhundert
22.06.2021
Daniel Maul (Oslo): Märsche als Mittel gewaltfreien Widerstands. Am Beispiel von Gandhis Salzmarsch und Martin Luther Kings Marsch auf Washington
Veranstalter ist der Lehrstuhl für Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts der Universität Leipzig. Finanzielle Unterstützung leisten der SFB 1199 „Processes of Spatialization under the Global Condition“ und die Vereinigung von Förderern und Freunden der Universität Leipzig.